Die Tourenentscheidung ist nicht einfach: Etwas in den Alpen, eine Tour mit Eis, Gletscher und ein hoher Gipfel, Alpinklettern, Hochtour, … in der engeren Auswahl blieben dann der Piz Badile, Stüdlgrad, die Hochschwab-Südwand oder doch Berchtesgaden, … und dann macht der Wetterbericht die Entscheidung: Wir reservieren auf der Voitstalerhütte.
Gerald, Hirschi und ich steigen kurz vor der Dämmerung zur Hütte auf und kommen gerade noch rechtzeitig vor der Dunkelheit und dem Abendessen an. Die alte Hütte ist bereits zur Hälfte eingerissen und ein Bild des Abschieds und wir haben ein dreierZimmer im zweiten Stock im Neubau. Die Portionen sind üppiger geworden und wir fangen an mit den anfänglich etwas unzugänglichen Hüttenwirtinnen in Beziehung zu gehen. Sie sind seit fünf Tagen in der neuen Hütte und dementsprechend im Dauereinsatz, aber der erste Eindruck der noch nicht ganz fertigen Hütte ist sehr gut und der Betrieb läuft geschmeidig. Wir schliessen die Tourenplanung für den nächsten Tag ab und einigen uns auf den Trompetenkäfer, einer neuen Tour (2019) im westlichen Teil der Südwand.
Frühstück gibt es ab halb acht, (für die, die wollen auch früher) und wir steigen bei bestem Wetter zum Travissattel auf queren dann hinüber zur Südwand. Der Einstieg ist schnell gefunden, Hirschi steigt die erste Länge vor und folgt ohne auf die Topo zu schauen zuerst einer leichten Linie nach rechts und dann einem Band nach links und findet keine weiteren Haken. Zureden hilft nichts und so dauert es ewig bis zum ersten Stand, der nach einigem hin und her gefunden wird. Die weiteren Längen gehen dann deutlich besser, einerseits weil wir die Topo im Vorhinein gemeinsam durchreden und weil Hirschi ins Klettern kommt. Mir bricht im Nachstieg in der zweiten steilen Länge eine Schuppe aus und meine Moral geht in den Keller. Überhaupt erlebe ich die Tour anders als erwartet, wenig vom perfektem Hochschwab-Kalk und wenig ansprechend. Abwechslungsreiche Kletterei führt uns über Wasserrillen, Aufschwünge und Verschneidungen, aber die richtig lässigen Längen wie ich sie aus der Himmelsleiter kenne bleiben aus. Nach fünf Stunden Kletterei stehen wir am linken Rand der Südwand und steigen in wenigem Minuten zum Gipfel auf.
Beim Abstieg kehren wir noch im Schiestlhaus ein und dort ist es herzlich und lustig wie immer und das Essen und Bier ist gut. Zurück zur Voitstalehütte gehen wir über das Ochsenreichkar. Treffen noch Steinböcke und Gams und beim Zurückkommen ist die alte Hütte schon nur noch ein Gerippe und wir schauen direkt in die Dachzimmer, Gaststube und Küche. Vor der neuen Hütte steht Maja und räuchert zum Abschied und um den Geist der alten Hütte in die neuen zu begleiten. Ich habe ein sehr feines Gespräch mit ihr auf der Terasse und die Sterne glitzern …
Gerald will unbedingt auf den Lufthammer und wir ziehen guter Dinge wieder gegen acht Uhr los. Der Zustieg ist diesmal etwas kürzer und in der ersten Länge stellt sich heraus, dass heute nicht der Tag für die Lufthammer ist. Ich beginnen meinen Vorstiegstag und komme bis zum ersten Stand, die zweite Längen traue ich mich nicht bis zum ersten Bolt, Gerald ebenfalls nicht und so seilen wir ab und steigen in die leichtere Himmelsleiter ein. Die Tour ist bekannt und ich führe bis zur Kaminlänge, die ich von der unserer ersten Begehung noch in durchwachsener Erinnerung habe. Aber heute ist „nur“ mein Vorsteigetag also führe ich weiter, schaue mir die Länge nochmal durch und bleibe diesmal im Kamin. So ist es deutlich einfacher und vor allem finde ich Haken und kann drei Cams unterbringen und bin so bis zum Stand gut gesichert. Das Seileinholen ist mühsam, meine Arme krampfen – Traubenzucker hilft. Die letzte Wasserrille zum Gipfel ist noch immer herrlich und dann sitzen wir am kleinen Hochschwabgipfel und geniessen eine Wetterspiel mit Wolken und Sonne.
Nach einer Zwischenstation am Schiestlhaus mit herrlichem Apfelmuffin mit Eierlikörschaum kommen wir zurück auf die Voitstalerhütter, wo zumindest ich diesmal ein volles Abendessen geniesse und wie gewohnt um kurz nach zehn im Bett sind um dann gemeinsam eine anspruchsvolle forstarbeiterische Arbeitsnacht zu verbringen. So entsteht auch die Idee für die Hütten-Nacht-App mit allerlei lustigen Ideen für akustische Phänomäne einer ebensolchen.
Am nächsten Tag geht es zum Knablweg, wieder an die Westseite der Südwand. Als wir ankommen steigt gerade eine Dreierseilschaft ein und zwei weitere Seilschaften machen sich gerade in den Baumgartnerweg auf. Wir sitzen am Wandfuss und tratschen und telefonieren als in der zweiten Länge des Knablwegs dem Vorsteiger eine Griff mit der ganzen Schuppe ausbricht. Wolfgang ist in Sicherheit aber Gerald und ich sitzten deutlich zu nah. Aber die Sache geht glimpflich aus. Wir noch rechtzeitig am rechten Ort sind. Nur das Seil das am Boden liegt bekommt einen Stein ab, was wir aber erst am nächsten Tag in voller Konsequenz bemerken. Eine Konsequenz, die wir gleich ziehen ist, dass wir uns auf einen Aufstieg über das Gehackte begeben und zum Schiestelhaus gehen. Am Gipfel bläst der kalte Südfön und wir sind rasch beim Schiestlhaus. Beim Planen auf der Hütte einigen wir uns auf eine kurze Tour im Schwabenkar und so steigen wir über den Meransteig ab und zu. Das letzte Stück führt weglos ins Kar und ist über das Blockgelände und die Schotterbänder recht mühsam. Der Fels ist herrlich, zerfressen, scharf und fast unbeklettert. Die Routen wirken etwas lieblos eingerichtet, so als hätten dort die letzten Bolts ihren letzten Ort gefunden um nicht ins Tal mitgeschleppt werden zu müssen.
Nach den drei Seillängen geht es zurück zur Voitstaler, wo von der alten Hütte gerade die letzte Wand umgerissen wird. Zurück im Tal suchen wir den Törlbach auf, aber ganz so einfach ist eine komplete Resozialisation nicht. Spuren der letzen Tage bleiben. In Kapfenberg gehen wir essen und dann fahren wir nach Gosau, wo wir unter dem herrlichem Sternenhimmel schlafen.
Am Donnerstag Morgen bereiten Gerald und Wolfgang eine herrliches Frühstück mit Kaffee, Haferbrei und Broten und dann marschieren wir an den Gosauseen vorbei zur Holzmeisterhütte und zum Einstieg des Gosau Triatlon. Diesmal ist alles trocken. Wolfgang führt die ersten Längen dann Gerald, dann ich. Am Wiesenplatz nach der fünften Länge lassen wir eine Seilschaft vorbei, weil wir zu dritt etwas langsamer unterwegs sind. Es wird richtig warm in der Sonne und wir kommen nach der letzten Wasserrillenplatte in den steilen Teil der Tour.
Während der Tour fängt sich der Mantel des beschädigten Seils zu verschieben an und die ganze Misere des Steinschlags vom Vortag wird sichtbar, weil auch der Kern beschädigt ist. Das Kletter geht dann mit grösseren Anspannung weiter. Überhaupt sind die unterschiedlichen Arten des Standbaus, der Sicherungstechnik und der Komandos viel Thema und einen gemeinsame Linie nicht einfach zu entwickeln. Richtig einig werden wir erst in der Nachbesprechung.
Die drei steilen Längen führt wieder Wolfgang, aber seinen schweren Rucksack mit den vielen ultraleichten Teilen, die sieben Jausenbrote und was weiss wer sonst noch, tauscht er mit meinem, der deutlich angenehmer, weil leichter ist. Die Tour ist nach wie vor herrlich und die letzten drei Länge gehe wieder ich mit dem leichten Rucksack voran. Das Wasser geht zur Neige und vor uns liegen noch gut 400 Höhenmeter Aufstieg zur Adamek Hütte, wo wir gegen sieben nach über zehn Stunden durstig und müde ankommen.
Der Abend wir feuchtfröhlich, ein Bauunternehmer aus Braunau versorgt die Hütte mit Weissbier. Ein Fiasko bleibt aus, weil der Martin der Hüttenwirt um elf Uhr die Bar schliesst und alle im trokenen stehen und sitzen lässt. Draussen funkelt der schönste Sternenhimmel und drinnen werden die Motorsägen gestartet. Gute Nacht.
Die Tourenplanung beim Frühstück ist gekennzeichnet durch Klettersättigung und andere teilweise ungenannte Motivationsbremsen. Kein Klettern, auch wenn der Hüttenwirt ein Seil für uns hätte. So steigen wir zumindest zum Gletscher auf. Hirschi geniesst ein Bad im Eistümpel und bekommt dafür, wie sich später herausstell, keinen Kaiserschmarn. Gerald baut einen Steinbogen und ich spiele mit Eis. Landschaftlich ist die entgletscherte Felslandschaft beeindruckend und faszinierend und ein Mahnmal.
Beim Abstieg von der Adamekhütte bekommt Gerald wieder Lust zum Kletter und ich möchte ihn am liebsten beissen. Ungewaschen wie wir sind lasse ich es aber bleiben und wir nutzten den Abstieg für eine ausgibige Nachbesprechung über Führung, Entscheidungen, Gruppendynamiken zu dritt und die „richtige“ Techniken beim Standbau, Kletterorganisation und Matrialwahl und die Bedürfnisse der Einzelnen.
Ich bin froh, dass wir nicht am Piz Badile oder Grossglockner gelandet sind, weil ich mich in dem Gefühl, dass wir zu dritt zu langsam für eine solche Unternehmung sind, bestätigt fühle. Auch wenn es natürich/vielleicht/wahrscheinlich funktionieren würde, wenn es müsste. Aber darauf möchte ich mich nicht verlassen. Lieber gehe ich dorthin, wo das Grundgefühl sagt, das geht gut und das können wir gut schaffen. Und wenn es sein müsste dann ginge noch mehr.
Wir haben in mehr als fünzig Stunden an fünf Tagen am Berg unterwegs fast sechseinhalbtausend Höhenmeter erklommen und am Hochschwab tiefe Einblicke und neue Seiten gesehen. Am Weg sind wir Gämsen und Steinböcken begegnet, haben dem ein oder anderen Murmeln zugeschaut und sogar einen Steinadler (am Hochschwab) und Schneehühner im Sommerkleid (am Fusse des Gosaugletschers) gesehen. Die Basis für weiter entspannte Stunden auf der Voitstalerhütte sind gelegt und wir wissen, es gibt ganz in der Nähe ein Gebiet, das viele weitere und abenteuerliche Möglichkeiten bietet. Die Vorfreute auf den Winter steigt, die Disteln stehen hoch und so wird es viel Schnee im nächste Winter geben!