2023_03_07_Skitouren-Instruktor-Learnings

Bei der Ausbildung zum Skitouren Instruktor sind einige neue Erfahrungen und Erkenntnisse für mich im Feld der Skitouren dazugekommen. Die 16 intensiven und teilweise sehr anstrengenden Ausbildungstagen waren durch ihren hohen Praxisbezug und die vielfältige Auseinandersetzung im Feld und im Lehrsaal nützlich und wertvoll. Ein paar der wesentlichen Erkenntnisse bezüglich Lawinenkunde, Tourenplanung und Risikomanagement möchte ich hier festhalten. Vieles davon ist klar und war bekannt. Die Updates, Erweiterungen und Vertiefungen möchte hier zusammenfassen.

Tourenplanung

Eine gründliche Tourenplanung ist das um und auf für eine lässige und sichere Skitouren. Vor allem dann, wenn eine*r in wenig bekanntem Gebiet, auf wenig begangenem Terrain, oder bei erschwerenden Bedingungen unterwegs ist. Das kann die Lawinengefahr, die Wettersituation, die Schneehöhen oder auch die Gruppenzusammensetzung oder die Fähigkeiten betreffen. Eine umfassende Tourenplanung schaut jedenfalls auf die Gruppe, die unterwegs ist. Beinhaltet eine gute Analyse der Wetter- und Lawinensituation und bezieht die Schneelage in Höhe und Ausrichtung mit ein. Erst dann geht es auf die Auswahl der Tour, die die Faktoren der Gruppe (Ziele (offenen und verborgene), Fähigkeiten, Ausdauer, …) als auch die äußeren Faktoren mitdenkt. Abenteuer oder eine entspannte Tour, Steilrinne oder Pulverabfahrt, Landschaftserleben oder Herausforderung, … machen entscheidende Unterschiede in der Einschränkung der möglichen Touren. Die zumindest teilweise Erfüllung von Erwartungen ist auf jeden Fall ein wesentlicher Erfolgsfaktor und schafft Zufriedenheit.

Die Detailplanung der genau Route beginnt beim Parkplatz und endet dort. Je genauer die Karte (digital oder analog) studiert wird, desto wahrscheinlicher ist die Umsetzung der geplanten Route, gerade wenn das Gebiet nicht gekannt ist. Bei Schlüsselstellen sollten wichtige Daten wie Höhe, Exposition, Zeitpunkt des Erreichens im Zeitplan und Geländeform im Kopf bekannt sein, das erleichter das gesicherte Erreichen und verringert die Zeit, die auf der Tour mit Karte oder Smartphone in der Hand verbracht wird. Je genauer die Planung und Vorbereitung, desto mehr Anhaltspunkte und Beobachtungen kann ich dann auf der Tour vergleichen und bestätigen oder am Weg anpassen oder wenn nötig verändern. Mit den digitalen Möglichkeiten ist es einfach am Ende der Planung noch einmal das Höhenprofil auf mögliche Gegenanstiege, Flachstellen oder unüberwindliche Steilstufen zu überprüfen. Routen etwa im Skitourenguru (wenn vorhanden) auf Gefahrenstellen zu überprüfen, gibt zusätzliche Sicherheit, wenn die Lawinensituation angespannt ist, oder die Tour steile Hänge und Rinnen enthält oder überquert. In Zukunft wird es möglich sein, im Skitourenguru sogar gpx Dateien hochzuladen und zu analysieren. Mit einem Abgleich im Lawis können jetzt schon genaue Wetter- und Schneedaten aus der Region eingesehen werden und Lawinenereignisse aus der Vergangenheit festgestellt werden.

Eine gute Tourenplanung ermöglicht auf der Tour viele Anhaltspunkte zuziehen zu können, um die Theorie aus der Vorbereitung in vielen Punkten mit der Situation vor Ort abzugleichen und gegebenenfalls zu korrigieren. Das beinhaltet die Route, die Schnee- und Lawinensituation vor Ort, das Wetter und geht bis zur Einzelhangbeurteilung und das Risikomanagement auf der gesamten Skitour.

Lawinenkunde

Von den verschiedenen Lawinenarten, Schneebrettlawine, Lockerschneelawine, Gleitschneelawine, ist das Schneebrett, das für uns am relevanteste. Einerseits, weil die Auslösung oft durch zusätzliche Belastung der Schneedecke durch uns als Tourengeher*in passiert und weil es die häufigste Lawinenart ist, mit der wir in den Bergen im Winter konfrontiert sind. Zu einem Schneebrett braucht es mehrere Zutaten. Eine Hangneigung über 30 Grad, gebundenen Schnee (Trieb- oder Fegschnee) und eine relevante Schwachschicht. Fehlt eine der drei wesentlichen Faktoren, ist von einem Schneebrett nicht auszugehen. Natürlich ist es nicht immer so einfach das einzuschätzen.

Die Hangneigung im Hang, in dem sich eine*r befindet, ist leicht festzustellen. Indem ein Skistock in den Schnee gelegt wird und der Abdruck mit den beiden weiteren Stöcken zu einem Dreieck geformt werden. Pendelt das freie Stück sich dort ein, wo der Abdruck Stocks ist, sind es genau 30 Grad. Jeder 10 Zentimeter Abweichung nach unten (oder oben) sind etwa 3 Grad mehr (oder weniger). Mit dem Skistock, der auf der Schneedeckel liegt und einem Neigungsmesser am Smartphone (etwa mit der Snowsave-App) lässt sich die Hangneigung ebenfalls genau messen. Pieps LVS Geräte haben auch einen Neigungsmesser eingebaut. Der Hanglayer in den Planungs- und Navigations-Apps (Bergfex, Alpenverein, Outdooraktiv, …) gibt ebenfalls gut Aufschluss über die Hangneigung. So kann in der Planung und auf Tour jederzeit die Hangneigung kontrolliert werden, wenn die Karte offline verfügbar ist und der Hanglayer mitgespeichert wurde. Unter 30 Grad ist die Auslösung von Schneebrettern selten, weil die Reibung des Schnees zu groß ist. Über 30 Grad Neigung steigt das Risiko deutlich an.

Verhältnis von Gefahrenstufe zu Hangneigung von 1026 Lawineunfällen 2014/15 in der Schweiz

Ob gebundener Schnee vorhanden ist, lässt sich mit Erfahrung beim Spuren gut erkennen. Bricht der Schnee im steileren Gelände neben der Spur flächig oder in Schollen ab, ist meist Triebschnee die Ursache. Gebundener Schnee auf einer Lawinenschaufel rieselt nicht, sondern bleibt auch beim Schütteln ein Block, der oft in Teilen abbricht. Gebundener Schnee bildet Blöcke oder Scheiben und ihn ihm breiten sich Risse aus. Beim Spuren breiten sich diese Risse oft neben und parallel zur Spur aus. Außerdem fühlt sich gebundener Schnee oft spröde an und bietet beim Spuren einen Widerstand. Wesentlich für das frühzeitige Erkennen von Treibschnee sind die Beobachtungen während des Aufstiegs. Windzeichen wie Wechten, Windkolke um Bäume und Felsen, Windgangeln, Windfahnen im Gipfelbereich, … sind untrügliche Zeichen für Schneeverfrachtungen. Diese sollten ein schlüssiges Ganzes mit dem Wetterbericht und Lawinenbericht ergeben oder Teile dessen infrage stellen. Auch die Beobachtung der Geländeformen im Routenverlauf ist ein Indikator für Triebschnee.

Zu erkennen, wo und ob im Hang über einer irgendwo Schwachschichten vorhanden sind, ist deutlich komplexer. Erste Auskunft darüber gibt immer der Lawinenbericht. Vor Ort ist ein kurzes „in die Schneedecke schauen“ mit einem kleinen Blocktest, einer Rutschprobe oder ein volles Schneeprofil vor Ort oder in einer ähnlichen Exposition und Höhenlage aufschlussreich. Dann ist schon deutlich klarer, was auf den ersten Blick nicht sichtbar ist oder vielleicht ganz anders im Lawinenbericht steht. Diese Tests können schon im flachen oder noch sicheren Gelände gemacht werden. Neben der Spur, schnell mit dem Stock oder der Lawinenschaufel einen Block frischen Schnee auszugraben und ihn mit der flachen Hand oder der Schaufel ins Rutschen zu bringen, zeigt ebenfalls an, ob Schwachschichten vorhanden sind, an denen Triebschnee abrutscht und dauert keine zwei Minuten. Diese Methode sollte erst mit viel Erfahrungen aus den Blocktests zur Beurteilung herangezogen werden. Einen schnellen Eindruck vermittelt er aber auf jeden Fall. Die bekannten Setzungsgeräusche (WUMM-Geräusche) sind ein klares Alarmzeichen, können aber beim Fehlen von relevanten Schwachschichten ganz unproblematisch sein. Dabei kollabiert in der Schneedecke zwar eine Schneeschicht deutlich hörbar, aber da darunter keine gleitfähige relevante Gleitschicht, etwa aus kantige Kristalle aus aufbauender Umwandlung, Oberflächenreif, … fehlt, folgt dem Spannungsbruch und der Bruchausbreitung kein Abgleiten des Schneebretts. Diese Brüche haben wir auf den Ausbildungstouren mehrfach erlebt und gehört. Dabei können sich die Brüche in der Schneedecke über hundert Meter den ganzen Hang hinaufziehen oder von der Spur weg meterweit bis über einen Rücken laufen. Vom Altschneebroblem (engl. persisten weak layerrs problem) wird dann gesprochen, wenn die Schwachschicht tiefer oder schon länger in der Schneedecke liegt. Auch dabei ist es relevant, ob eine gleitfähige Schwachschicht vorhanden ist. Wobei diese, durch die aufbauende Umwandlung in der Schneedecke oft erst im Laufe der Zeit durch den Temperaturunterschied in der Schneedecke direkt unter einer dichten Schicht (etwa ein Harschdeckel oder eine Schmelzkruste) entsteht.

Einzelhangbeurteilung

Der Lawinenbericht gibt einen Überblick über die Lawinensituation einer Region im Raster von etwa 100 Km2. Der Bericht enthält eine Gefahrenstufe. Dies gibt Auskunft über die Auslösewahrscheinlichkeit von Lawinen, den Umfang und die Anzahl von der Gefahrenstellen und die zu erwartende Größe von Lawinen. Es wird das vorherrschende Lawinenproblem benannt und er enthält eine Einschätzung des Schneedeckenaufbaus. Sich damit zufriedenzugeben ist für die sicher Durchführung einer Skitour nicht ausreichend.

Einerseits können lokale Wetter- und Schneesituationen anders sein als für die Region prognostiziert wurden und natürlich kann der Lawinenlagebericht einfach falsch oder teilweise fehlerhaft sein. Eine Beurteilung auf der Tour, das ständige Gegenchecken des Berichts und der Tourenplanung erhöht die Sicherheit auf Tour enorm.

Die Einzelhangbeurteilung, ein wichtiges Werkzeug zum strukturierten Risikomanagement. Während der Ausbildung wurde es noch in kleinen Punkten verändert. Sobald eine finale Version vorliegt, werde ich sie hier posten! An einzelnen Gefahrenstellen eine Einzelhangbeurteilung vorzunehmen, gibt nicht nur mehr Sicherheit, sie ermöglicht aus über das Risikomanagement bewusst und aktiv Risiko, Gefahr und Folgen zu trennen und so mit einer analytischen Vorgangsweise das Bauchgefühl zu unterstützen. Bei der Einzelhangbeurteilung wird die Lawinenwahrscheinlichkeit mit den Kriterien Exposition, Hanglage (Topografie), Hangneigung und Gelände als Fakten herangezogen. Die Auslösewahrscheinlichkeit wird über das Vorhandensein von gebundenem Schnee, relevante Schwachschichten, die Neuschneemenge und die Durchfeuchtung bewertet. Im nächsten Schritt wird das Risiko in den Kategorien Art und Größe der Lawine, Verschüttungstiefe, Kollision/Absturz in Folge der Lawine und die Anzahl der Verschütteten versucht zu ermitteln. So können ohne Algorithmus und Rechnerei und mit Hausverstand das Risiko eingeschätzt und Maßnahmen zur Risikoreduktion entschieden werden. Entscheidungen über das Vermeiden, die Umgehung von Schlüsselstelle können so nachvollziehbar entschieden oder das Risiko in Betracht gezogen werden, wenn Maßnahmen dieses vertretbar machen.

Wir haben diese Matrix auf unseren Touren immer wieder angewandt und festgestellt, dass sie nützlich und hilfreich ist, Entscheidungen zu treffen, ohne auf etwas Wichtiges zu vergessen. Außerdem eröffnet sie Möglichkeiten, faktenbasiert und Gefühlsentscheidungen besser nachvollziehbar und transparenter zu machen. Als Führungsperson allein gibt sie deutlich mehr Entscheidungssicherheit. Fehlen Informationen, etwa durch Nebel oder Unwissenheit über die Situation, sind Entscheidungen nicht möglich und so ein Abbruch, Rückzug oder Vermeiden von Gefahrenstellen angesagt. Für den Fall der Fälle muss über Maßnahmen das Risiko so weit wie möglich reduziert werden. Das kann etwa durch Abstände (Entlastung- oder Sicherheitsabstände), Einzelbefahrung/besteigung, sichere Sammelpunkte erreicht werden. Im Nebel kann enges und langsame Spurfahren die Gefahr reduzieren.

Zum Schluss noch einige Lernunterlagen für angemeldet User*innen des Outdoor-Blogs.

Mehr findet sich in der auf der Seite Hintergrundwissen – Skitouren!

praesentation-wetterkunde-22
praesentation-orientierung-digital-22
praesentation-orientierung-analog-22
instruktor-skitouren-lawinenkunde-22-tn
erste-hilfe-bspa-fuchs-j-komprimiert
vor 3 Jahren

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